Projekte in Mittelamerika und der Karibik

– ein Erlebnisbericht –

Der bereits in den 80er Jahren an der Eisler-Hochschule ausgebildete Oboist Ramon Rodriguez gründete nach seiner Rückkehr nach Nicaragua die Camerata Bach, die bis heute das Herzstück der klassischen Musikszene in Nicaragua bildet.

In wechselnden Besetzungen präsentiert dieses ambitionierte Kammerorchester ein reiches Spektrum an Programmen, das von der Barockmusik bis zu charmanten Arrangements nationaler Popularmusik reicht.

Als Direktor des ehrwürdigen Teatro Ruben Dario engagiert sich der umtriebige Ramon Rodriguez auch mit voller Kraft für den musikalischen Nachwuchs seines Landes.

Mit dem  Orquesta Sinfonica Juvenil del Teatro Ruben Dario hat er dafür in Managua eine vorbildliche Plattform der musikalischen Förderung geschaffen.

Bereits im 2. Jahr nach seiner Gründung konnte ich mit diesem hochmotivierten Orchester schon das Brahms-Violinkonzert oder die 5. Sinfonie von Beethoven aufführen. Auch den heute weltberühmten Danzon No.2 von Marquez oder den Malambo von Ginastera bekam ich bei meinen ersten Gastdirigaten in Nicaragua Mitte der 90er Jahre – noch als schwerlesbare Kopien einer Partitur – in der ersten Probe aufgelegt. Heute tritt dieses Orchester aus Mitgliedern der Camerata Bach und dem Jugendsinfonieorchesterorchester mit abwechslungsreichen Programmen zwischen Pop und Klassik regelmäßig im Teatro Ruben Dario auf.

Für ein zentralamerikanisches Festival in Managua lud Ramon Rodriguez auch Gastmusiker aus Panama, Costa Rica und Cuba ein, mit denen die Idee eines Zentralamerikanischen Sinfonieorchesters zum ersten Mal verwirklicht wurde.

Zusammen mit den restlichen mittelamerikanischen Staaten entwickelte sich in den 2010er Jahren die Absicht, auch ein Zentralamerikanisches Jugendorchester zu formen, das jedes Jahr in einem anderen Mitgliedsland seine Arbeitsphase abhält und danach mit seinem Programm in mehreren Ländern Mittelamerikas auftritt.

Dabei hatte ich die große Freude, als Gastdirigent des Orquesta Juvenil Centroamericano (ORCA) mit einem Eliteorchester ausgewählter Begabungen aus ganz Mittelamerika zu arbeiten und danach mit ihnen in Managua und Guatemala City zu gastieren.

Eine ganz besondere Einrichtung ist in Guatemala das Orquesta Sinfonica Juvenil Intercultural (OSJI), mit dem ich zwei herrliche Arbeitsphasen in Quetzaltenango und dem spektakulären Panachajel verbringen konnte.

Spiritus Rector dieses Orchesters, das von der ASIES als soziokulturelles Projekt begleitet wird, ist der rührige deutschstämmige Kaufmann Arnoldo Küstermann.

Die ASIES – eine mittelamerikanische Thinktank Einrichtung – am ehesten vielleicht mit unserer Max-Planck-Gesellschaft vergleichbar – verfolgt mit dem OSJI das Ziel, nicht nur auf nationaler Ebene die besten musikalischen Begabungen zu fördern, sondern auch im ländlichen Bereich Jugendlichen mit schlechteren Ausbildungsmöglichkeiten eine professionelle Förderung zu bieten.

Dazu wird in jedem Jahr in einer anderen Region ein Campamento Regional durchgeführt, bei dem die besten Teilnehmer wiederum für das folgende Campamento Nacional vorgeschlagen werden.

Die Dozenten für deren Registerproben wurden über mehrere Jahre aus den führenden Berliner Orchestern ausgesucht und über die ASIES von der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Guatemala eingeladen.

Neben der musikalischen Förderung junger Guatemalteken will man mit dem Orquesta Sinfonica Juvenil y Intercultural (OSJI) auch einen wertvollen Beitrag dazu leisten, Jugendliche indigener Abstammung gesellschaftlich zu integrieren.

Für diese Aufgabe hat sich Arnoldo Küstermann über Jahrzehnte hinweg unermüdlich und mit großem Erfolg eingesetzt.

Ebenfalls in Deutschland ausgebildet hat Sergio Nunez in Costa Rica eine großartige Celloklasse aufgebaut, mit der ich in Santa Ana ein anspruchsvolles Programm für Celloensemble erarbeiten und aufführen konnte.

Die freundschaftliche Atmosphäre in dieser Gruppe und ihre heißen Metallica-Aufführungen in Bars werden mir unvergessen bleiben.

Im wirtschaftlich stärksten Land Mittelamerikas gibt es heute einen regelrechten Boom an Orchesterneugründungen, meist als Eigeninitiativen junger Hochschulabsolventen.

Im benachbarten Panama spielte ich zum ersten Mal mit einem Botschafter zusammen einen Celloabend.

Josef Saussen ließ es sich nicht nehmen, nach einem 10-stündigen Arbeitstag auch noch die anspruchsvollen Cellosonaten von Richard Strauss und Claude Debussy aufzuführen – mit Erfolg.

Auch hier stieß ich während einer Masterclass an der Universität auf höchst interessierte Musikstudenten, die mit größtem Eifer und voller Dankbarkeit meine mitgebrachten Erfahrungen umzusetzen wussten.

In der Karibik stieß ich immer auf hochengagierte weibliche Direktoren der nationalen Conservatorios, die weltoffen und kreativ nach verbesserten Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Studenten suchten.

Ein anregender Austausch der Erfahrungen fand da nicht nur in den Rektoratszimmern, sondern genauso in einem Restaurant oder bei einem gemeinsamen Konzertbesuch statt.

Einziger Stressfaktor für ein Cello Recital im wunderschön restaurierten Kloster von Santo Domingo war eine unvorbereitete Pianistin, die diese Tatsache auch während unserer Probentage mit häuslichem Lichtausfall begründete. Das konnte ich erst glauben, als kurz vor Konzertbeginn auch im Saal der imposanten Casa de Bastidas das Licht ausging und die Zuhörer ihre Cocktailgläser quasi blind auf ihre Plätze jonglieren mussten.

Mehr Geschicklichkeit und ein höheres Reaktionsvermögen musste ich allerdings während der Generalprobe aufbringen, bei der eine 4 m hohe Eisenleiter direkt auf meinen Stuhl zukippte.

Mit einem geistesgegenwärtigen Sprung zur Seite konnte ich da beim Wiegenlied von Richard Strauss nur knapp dem Tod entrinnen…

Umso lebendiger erlebte ich bei meiner Masterclass den Austausch mit dem Celloprofessor des dortigen Konservatoriums, der auch Solocellist des vorzüglichen Nationalorchesters ist. Auch er erhielt – als Jugoslawe – seine Ausbildung in Deutschland und leistet in seiner neuen Heimat mit den jungen Musikern eine hervorragende Aufbauarbeit.

In Jamaica wird die klassische Musikszene von zwei höchst engagierten Musikern geprägt, zum einen von Stephan Woodham, einem ausgezeichneten jamaikanischen Geiger, der mit seinem Jugendsinfonieorchester in Kingston eine glänzende Orchesterschule bietet.

Zum andern belebt die österreichische Blöckflötistin Rosina Moder mit ihrem außerordentlichen sozialen Engagement für spartenübergreifende Musikprojekte die heimische Szene.

Mit beiden Musikern konnte ich in Kingston spannende Projekte verwirklichen und darüber hinaus anregende Kontakte zu Bildenden Künstlern knüpfen.

Besonders beeindruckt hat mich am Konservatorium in Kingston eine Abteilung für Geigenbau, etwas, das man in Deutschland für jede Hochschule übernehmen sollte!

Eine unvergessliche Erfahrung war meine Reise nach Cuba. Nicht nur wegen der Tatsache, dass mein Cello den Flug nicht heil überlebte, sondern auch wegen des pittoresken Ambientes des ehemaligen Klosters San Francisco, in dem mein Celloabend mit CD-Aufnahme stattfand.

Das Tondokument dieses Konzerts – gespielt auf meinem mit zwei langen Stimmrissen fast verstummten Cello –  habe ich mir infolge des damaligen Schockzustands bis heute noch nicht angehört…

Die Celloklasse an der Escola de Musica in Havanna, bei der ich eine Masterclass abhielt, wurde von einem über 80-jährigen deutschstämmigen Cellisten betreut, der wegen seiner jüdischen Abstammung vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste. Mit welcher menschlichen und geradezu väterlichen Hingabe er seine Schüler umsorgte, hat mich sehr beeindruckt.

Sein Anliegen, mich mit dieser sympathischen und motivierten Celloklasse zu beerben, hat mich nicht nur zutiefst geehrt, sondern mir auch einige Monate Kopfschmerzen bereitet, wie man dieses verlockende Angebot in die Tat umsetzen könnte.

Leider war der DAAD damals nicht darauf eingestellt, von einem der ärmsten Entwicklungsländer der Welt keinen finanziellen Beitrag zu einem solchen Projekt erwarten zu können.

Bleibt die Tatsache, dass Cuba durch seine wechselnden politischen Orientierungen sowohl aus Amerika wie auch aus Russland hervorragende Professoren bezog, die nicht nur in der Musik, sondern auch in der Medizin bis heute für einen internationalen Ausbildungsstandard sorgen.

X